Die Euphorie nach der Zusage der Spanier war riesengroß und viel Zeit zur Auffrischung der Spanischkenntnisse vom Abi blieb wegen Projektarbeit und Klausurphase leider nicht.
Meine Wohnung (bzw. 10 qm Wohnheimzimmer, hatte den Vorteil, dass man ERASMUS Studenten aus ganz Europa kennen lernen konnte) war sehr zentral und sauber. Ich wohnte am Plaza de España, einem der zentralsten Punkte in Madrid und unweit vom Königespalast, wobei an dieser Stelle erwähnt sei, dass Juan Carlos I in einem kleineren Schloß im Madrider Umland lebt.
Madrid ist die höchstgelegene und nachweislich die lauteste Hauptstadt Europas; (Spanien gilt ja nach Japan als das lauteste Land der Welt) und gleichzeitig das kulturelle wie geografische Zentrum Spaniens. In Land von Stierkampf und Siesta ist alles zeitlich etwas nach hinten verschoben, zu Mittag wird erst gegen 15 Uhr, zu Abend erst gegen 21 Uhr gegessen. Das Nachtleben ist im Vergleich zu Deutschland viel intensiver, sogar Kleinkinder sind unter der Woche um 23 Uhr mit ihren Eltern noch „auf Achse" und die Madrileños sind ein sehr ausgehfreudiges, offenherziges Volk.
Die beruflichen sowie persönlichen Erfahrungen in der mittelgroßen Vertriebs- und Servicegesellschaft waren sehr wertvoll, und für beide Seiten entstand eine „WinWin“ Situation. Die Kollegen vor Ort erhielten für sie sehr nützliche Informationen aus erst kürzlich von mir angestellten Studien und ich konnte dort die wichtigen Erfahrungen in verschiedenen Bereichen sammeln. Bei einer Marktanalyse, welche per Telefonbefragung durchgeführt wurde, konnte ich neben dem Aufbessern meiner Spanischkenntnisse auch viel über die spanische Mentalität und den Markt vor Ort erfahren. Im Gespräch mit Kunden ist eine fundierte Allgemeinbildung unabdingbar (Grenzen nach oben gibt es keine, nach unten schon), da im Smalltalk über Fußball, ein Urlaubsziel etc. gewissermaßen das „Eis zum schmelzen gebracht“ werden kann. Und gerade auf dem Gebiet des Investitionsgütermarketings ist ein guter persönlicher Kontakt zu seinem Ansprechpartner essentiell.
Im Spanischen wird das „Du“ sehr viel früher verwandt und mit Ausnahme des Geschäftsführers wird im Büro niemand gesiezt: Ähnlich verhält es sich bei Kundengesprächen, bei denen man oft nach dem zweiten Satz bereits zum Du übergeht. Ebenso interessant ist die Art wie gesprochen wird. Was in Deutschland undenkbar wäre ist hier alltäglich: sich gegenseitig ins Wort fallen (auch Kunden wohlgemerkt).
Dies hängt mit der Wortstellung zusammen, da im Spanischen Satz das Verb sehr früh genannt wird und man somit diesen auch nicht zu Ende hören braucht, da der Kontext schon ersichtlich ist. Dem völlig entgegengesetzt steht hierzu eine deutsche Errungenschaft, das Vier-Augen-Gespräch, welches in Spanien eher eine Seltenheit ist. Wer hier versucht, den anderen ausreden zu lassen wird lange nicht zu Wort kommen, jemanden beim Sprechen zu unterbrechen wird aber keineswegs als unhöflich angesehen. Besonders Faszinierend ist die Tatsache, dass im Büro der Teppichboden und die Computer identisch mit denen im Hauptwerk sind, also ein Mikrokosmos im weiteren Sinne. Die Kollegen sprachen alle sehr gut deutsch, da die meisten Kollegen in Deutschland geboren wurden oder dort einige Zeit gelebt/ gearbeitet haben. Fachbegriffe werden nur deutsche benutzt („Qué pasa con el Bestellung?" – „Was ist mit der Bestellung"). In Spanien läuft alles nicht ganz so geregelt ab wie in Deutschland. Befürworter nennen das Improvisationsfähigkeit, Gegner Planlosigkeit. Auf welche Seite man sich gesellt, muss jeder für sich entscheiden. Besonders hier lernt man sich nicht über Dinge aufzuregen (die spanische Gelassenheit), bei denen man in Deutschland wahrscheinlich schon längst an die Decke gegangen wäre (lange Warteschlangen, Lärm zu jeder Tageszeit etc.)